Ein Gastbeitrag von Wolfgang Mahnke
Prolog:
Die Bezirksverordnetenversammlung hat neben anderem die Aufgabe, das Bezirksamt – also den Bezirksbürgermeister und die vier StadträtInnen – zu kontrollieren. Ein Instrument dazu ist die „Kleine Anfrage“ an das Bezirksamt.
Den Bezirksverordneten ist es nicht möglich, sich selbst in alle Aktenvorgänge der Bezirksverwaltung einzuarbeiten. Sie nutzen deshalb die „Kleine Anfrage“, um eine vollständige und sachkundige Auskunft zu bekommen, die Ihnen die Einschätzung erleichtert, ob eine Thematik für sie unter den Aspekten der Verwaltungskontrolle oder der bezirkspolitischen Bedeutung Relevanz hat und eine weitere Befassung verdient.
Das ist die Theorie. Die Realität ist regelmäßig eine andere: Das Bezirksamt wittert hinter der „Kleinen Anfrage“ die Absicht, einer oder einem seiner Mitglieder am Zeuge zu flicken. Das gilt vor allem, wenn eine Anfrage aus einer Fraktion kommt, die nicht den für die Beantwortung zuständigen Stadtrat stellt.
Unter diesem Gesichtspunkt sind die Antworten überwiegend von dem Bemühen getragen, formal eine Antwort zu geben – dieser Schein muss gewahrt werden, weil sich das in unserem demokratischen System ja so gehört – rein tatsächlich aber nichts herauszulassen, was den Sachverhalt erhellen oder den Fragesteller zu weiteren vertieften Antragen ermutigen könnte.
Solche Antworten schüren allerdings auch den Verdacht, es könne noch viel mehr „faul“ sein, als bislang vermutet.
Zur Veranschaulichung dieser traurigen Realität findet der Leser im Folgenden das erbitterte Ringen um Wahrheit und Erkenntnis einerseits und um Vernebelung andererseits am Beispiel der durchaus komplexen Frage der verkehrsmäßigen Erschließung des Areals der Kleingartenkolonie Oeynhausen Nord mit neuen öffentlichen Straßen auf den bisherigen Grünflächen.
Um den trockenen und vielschichtigen Stoff einigermaßen überschaubar zu halten, ist ihm im Folgenden der Ablauf einer Theateraufführung unterlegt. Die einzelnen Etappen des Ringens sind eigenen „Aufzügen“ zugeordnet. Sie werden mit fiktiven Regieanweisungen eingeleitet.
Die Hauptakteure sind
- der „Weiße Ritter“ (das ist der Bezirksverordnete Siegfried Schlosser, der allerdings im wirklichen Leben überwiegend in piratengerechtem dunklen Habit aufritt) und
- der „schwarze Ritter“ (das ist der für Stadtentwicklung zuständige Stadtrat Marc Schulte).
Orte des Geschehens sind bislang die hehren Hallen des Rechtsstaats (hier: Verhandlungssaal des Verwaltungsgerichts Berlin) sowie der bürgernahen Verwaltung und der bürgerschaftlichen Gestaltung (symbolisiert durch Amtstuben und den Saal Bezirksverordnetenversammlung im Rathaus Charlottenburg-Wilmersdorf).
(Es ist nun an der Zeit, den ersten Akt aufzurufen:
Die „Sachverhaltsdarstellung“ in einer sachlich gehaltenen Amtsstube)
Bei der Firma Lorac, die das in Berlin-Schmargendorf gelegene Areal der Kleingartenkolonie Oeynhausen Nord 2008 zum Grünflächenpreis von der Post gekauft hatte, ist 2010 die Idee aufgekommen, zu versuchen, die Voraussetzungen für eine Bebauung auszuloten. Hierzu hat sie sich gegenüber dem Bezirksamt im Februar 2011 erboten, das Gelände hinreichend nach den Vorstellungen des Bezirks zu erschließen.
Mit Blick auf die tatsächliche und rechtliche Situation an den Außengrenzen des Areals war klar, dass das 1902 festgesetzte förmliche Straßenraster nicht mehr herstellbar ist. Lorac hat deshalb für die straßenmäßige Erschließung an den Außengrenzen (mit Ausnahme zur nördlich angrenzenden Forckenbeckstraße) eine halbierte Straßenbreite – d.h. Reduzierung der Breite von 15 m auf 7,5 m – vorgeschlagen.
Diesen Vorschlag hat das Tiefbauamt äußerst kritisch beurteilt. Insbesondere hat es sich nicht in der Lage gesehen, ohne eine Expertise über das Verkehrsaufkommen und dessen Ableitung zu entscheiden. So schreibt das Tiefbauamt in seiner Verfügung vom 10. Oktober 2011 auf Seite 2:
„Aufgrund der Vorhabengröße ist ein Verkehrsgutachten erforderlich, da wegen der beabsichtigten Wohnbebauung mit erheblichem Parksuchverkehr und einem erhöhten Verkehrsaufkommen zu rechnen ist. Dieses Gutachten muss die zu erwartenden künftigen Verkehre darstellen und die Aufnahmekapazitäten durch das öffentliche Verkehrsnetz nachweisen.“
Soweit die Akten Bezirksverordneten bekannt sind, ist nicht erkennbar, ob und wie auf die Anregungen des Tiefbauamtes reagiert wurde. Eine wahrnehmbare Äußerung zur straßenmäßigen Erschließung macht das Bezirksamt erst wieder in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht im Rechtsstreit zwischen Lorac und dem Land Berlin über die Bescheidung der Bauvoranfrage am 9. Mai 2014. Das Gericht fasst die Einlassung des Bezirks und seine Wertung wie folgt in seinem Urteil vom gleichen Tage zusammen (Urteil vom 9. Mai 2014 zu VG K 177.12, S. 21 f):
„Soweit ihr Vorschlag zur verkehrlichen Erschließung am östlichen Rand des Bauvorhabens ausweislich des Lageplans nur eine 7,50 m breite Straße umfasst und damit nicht die durch den Baunutzungsplan i.V.m. mit den förmlich festgesetzten Straßenfluchtlinien vorgesehene doppelte Straßenbreite, stellt dies die plangemäße Erschließung nicht in Frage. Voraussetzung der plangemäßen Erschließung ist zwar, dass die Erschließung den Vorgaben des Bebauungsplanes folgt, es ist aber nicht erforderlich, dass die im Bebauungsplan vorgesehene Erschließung vollständig umgesetzt wird, wenn dies für die Erschließung des konkreten Bauvorhabens nicht erforderlich ist. Vorliegend hat der Beklagtenvertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung den von der Kammer anhand des Lageplans und eines Vergleichs mit der Erschließungssituation des westlich an das Vorhaben angrenzenden Wohngebiets gewonnenen Eindruck bestätigt, wonach die vorgesehene 7,50 m breite Straße für die Erschließung des klägerischen Vorhabens ausreichend ist.“
Die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hatten auch Bezirksverordnete verfolgt. Da die Bezirksverordnetenversammlung keine Informationen über ein zwischenzeitlich etwaig eingeholtes Verkehrsgutachten hatte, hat unser Weißer Ritter diese Ungewissheit am 2. Oktober 2014 zum Gegenstand einer kleinen Anfrage an das Bezirksamt gemacht.
(neuer Aufzug:
Das Bühnenbild zeigt den BVV-Saal am 6. November 2014.
Die Beantwortung der Anfrage steht vor ihrem unmittelbaren Vollzug.
Der Schwarze Ritter thront auf einem mannshohen Sockel und verliest dem unter ihm auf dem Saalboden knienden Weißen Ritter huldvoll seine Antwort.
Normalerweise beantwortet das Bezirksamt die Anfragen schriftlich; das geht aber in einer Bühnenbearbeitung nicht,
weil ein solches Verfahren zu wenig theatralischen Effekt hat)
Der Bezirksverordnete Schlosser hört nun seine Antwort (förmlich: Antwort des Bezirksamts vom 6. November 2014, BVV-DS 0376/4, zur „Erschließung der geplanten Bebauung Forckenbeckstraße“):
(Fragestellung Schlosser:)
1. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 9. Mai 2014 in Sachen Lorac ./. Land Berlin hat das Gericht die Frage gestellt, ob eine straßenmäßige Erschließung des Gesamtareals, bei dem teilweise nur die halbe Straßenbreite gegenüber dem maßgeblichen Straßenfluchtlinienplan erreicht wird, ausreicht. Aufgrund welcher Vorarbeit des Bezirksamtes wurde diese Frage von den bezirklichen Beklagtenvertretern bejaht?
und
2. Wurde für diese Vorarbeit ein Gutachten zu einem künftigen Verkehrsaufkommen eingeholt?
und
3. Falls ja: hat das Gutachten diese Antwort der bezirklichen Beklagtenvertreter rechtfertigt? Bitte die entsprechenden Ausführungen des Gutachtens beifügen.
(Antwort des Bezirksamts:) Aufgrund des Beschlusses 0466/4 „Kolonie Oeynhausen“ vom 17. Januar 2013, für die westliche Teilfläche eine Wohnbebauung im Geschosswohnungsbau mit bis zu sechs Geschossen im Rahmen eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes zu ermöglichen, deren Verkehrserschließung von der Forckenbeckstraße her zu sichern ist, beantragte der Investor mit Schreiben vom 18. April 2013 die Einleitung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes. Teil des dazu eingereichten städtebaulichen Konzeptes ist auch das Erschließungskonzept gewesen. Darin werden die auf dem Grundstück nach den alten Straßenfluchtlinien festgesetzten „halben Straßenverkehrsflächen“ in einer Breite von 7,50 Metern für eine äußere Umfahrung der Baublöcke bei Errichtung von zwei Grundstückszufahrten zur Forckenbeckstraße hin als ausreichend angesehen.
(Fragestellung Schlosser:)
4. Falls kein solches Gutachten vorlag, bitte ich darzulegen, weshalb auf dessen Beauftragung verzichtet wurde und wie die Gründe für diesen Verzicht dokumentiert worden sind.
(Antwort Bezirksamt zu Frage 4:) Entfällt.
Diese Antwort ist in zweierlei Hinsicht überraschend:
Zum einen bezieht sie sich auf die Vorbereitungen zu einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan, mit dem bei verdoppelter Geschosszahl das halbe Areal bebaut werden sollte. Diese vom Bezirksbaustadtrat als „Kompromiss“ verkaufte Variante ist nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (dort geht es um die Gesamtbebauung) und wurde nicht mehr weiterverfolgt, nachdem sie von der Bezirksverordnetenversammlung am 15. August 2013 verworfen wurde (Grundtenor: Keine Bebauung ohne Bürgerbeteiligung; BVV-DS 0662/4).
Zum anderen lässt die Antwort darauf schließen, dass zwar kein Verkehrsgutachten eingeholt worden ist, man aber darauf vertraue, dass die Annahme des Eigentümers zutreffe, die halbierte Straßenbreite an der Grundstücksumfahrung sei hinreichend und könne so gleichermaßen im Falle der Gesamtbebauung des Areals bewertet werden.
So muss das Bezirksamt argumentieren, wenn es gegen seine öffentlichen Bekundungen doch eine Bebauung zulassen will und dabei auch in Kauf nimmt, den Verwaltungsprozess zu verlieren. Damit wird gleichzeitig der Wille der Bezirksverordnetenversammlung unterlaufen, die dem Bezirksamt aufgegeben hat, alles für eine Grünflächenausweisung des Geländes zu tun.
Es ist also nur folgerichtig, dass der Bezirksverordnete Schlosser – wohl unschlüssig, ob er die Antwort glauben darf oder sich veralbert fühlen muss –am 19. November 2014 noch einmal zur Güte klärend nachfasst:
(neuer Aufzug:
Die Bühne zeigt die gleichen Konfigurationen wie zuvor:
Der Stadtrat thront, der Bezirksverordnete kniet.
Das Geschehen wechselt zum 22. Dezember 2014)
Der Bezirksverordnete Schlosser hört nun seine Antwort (förmlich: Antwort des Bezirksamts vom 22. Dezember 2014, BVV-DS 0400/4, zur „Erschließung der geplanten Bebauung Forckenbeckstraße II“):
(Fragestellung Schlosser:)
Der Antwort auf meine Kleine Anfrage zur „Erschließung der geplanten Bebauung Forckenbeckstraße“ (DS 0376/4) entnehme ich, dass der Eigentümer des Areals für die Bebauung des hälftigen Areals im Zuge der beabsichtigten Einleitung eines beschleunigten BPlan-Verfahrens ein verkehrliches Erschließungskonzept entwickelt hat, in welchem er die Halbierung der äußeren Binnenstraßen auf 7,50 m Breite noch als hinreichend für die Bewältigung des Verkehrsaufkommens ansieht, obwohl er sich in seinem undatierten Erschließungsangebot von Februar 2011 verpflichtet hatte, „die Erschließung unserer Grundstücke gemäß den … förmlich festgesetzten Straßenfluchtlinien … plangemäß herzustellen“.
Dies vorausgeschickt frage ich:
1) Ist das vom Eigentümer/Vorhabenträger vorgestellte Erschließungskonzept fachlich von der Verwaltung auch unter Berücksichtigung der Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen geprüft worden?
und
2) Eignet sich eine Einschätzung des Investors, die „halben Straßenverkehrsflächen“ wären ausreichend, die für die Hälfte des Areals abgegeben worden ist, als Grundlage für eine Entscheidung über die verkehrliche Unbedenklichkeit, die – gemäß dem Gegenstand des Verwaltungsgerichtsverfahrens Lorac gegen Land Berlin – für das gesamte Areal von Oeynhausen Nord und in Einklang mit dem Straßenraster des Baunutzungsplans zu treffen?
und
3) Wenn es eine fachliche Prüfung im Bezirksamt zur verkehrlichen Auskömmlichkeit der Binnenstraßenplanung gegeben hat: Für welche Bebauungsvarianten ist sie erstellt worden, und wie ist diese Prüfung nebst ihren Ergebnissen dokumentiert worden?
(Antwort Bezirksamt:)
Zum ersten Erschließungsangebot vom 1. Februar 2011, welches sich auf das gesamte Lorac-Grundstück bezieht, hat das damalige Tiefbau- und Landschaftsplanungsamt am 10. Oktober 2011 eine ausführliche Stellungnahme abgegeben. Die darin geäußerte Meinung, dass die inneren Erschließungsstraßen als Privatstraßen ausgeführt werden sollen, wurde und wird vom Stadtentwicklungsamt aufgrund der Größe des Baugebietes jedoch nicht geteilt. Das Erschließungsangebot wurde vom Bezirk vor Gericht als zumutbar bezeichnet, zumal der Investor angeboten hat, es gegebenenfalls nach den Wünschen des Bezirksamtes anzupassen.
Unabhängig vom strittigen eigentumsrechtlichen Status der zu bauenden Straßen, hätte bis zum Abschluss eines Erschließungsvertrages das Erschließungsangebot verhandelt werden müssen. Ein entsprechender Auftrag an das damalige Tiefbau- und Landschaftsplanungsamt durch den damaligen Baustadtrat erging nach meiner Kenntnis nicht. Im Zuge derartiger Verhandlungen wäre eine fachgutachterliche Stellungnahme erforderlich gewesen, deren Tragfähigkeit hätte beurteilt werden müssen.
Mit Schreiben vom 18. April 2013 beantragte die Groth-Gruppe die Einleitung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes gemäß dem BVV-Beschluss vom 17. Januar2013 zur Bebauung der westlichen Hälfte der Kolonie Oeynhausen. Zum städtebaulichen Konzept gehört ein weiteres Erschließungskonzept, das ein ringförmiges Straßennetz in der halben Breite der Straßenfluchtlinien vorsieht, welches von der Freien Planungs-gruppe Berlin als tragfähig bewertet wurde.
Eine Beteiligung des Fachbereiches Tiefbau in seiner Funktion als Träger öffentlicher Belange wäre erfolgt, wenn das Bebauungsplanverfahren eingeleitet worden wäre. Dazu kam es aber nicht, weil das Konzept „Teilbebauung“ mit dem BVV-Beschluss vom 15. August 2013 wieder verworfen wurde.
Die Ausführlichkeit dieser Antwort steht offenbar in dem Bemühen, das nicht mehr zu Verbergende verbal so zu verpacken, dass möglichst wenige darin das skandalöse Verhalten erkennen können. Eine klare Antwort hätte auch wie folgt lauten können:
1) Ein Verkehrsgutachten ist unerlässlich; es ist bis heute nicht eingeholt worden.
2) Das Bezirksamt hat sich im Verwaltungsprozess auf die Annahmen des Eigentümers verlassen; diese Annahmen beziehen sich auf eine andere Variante der Bebauung und damit auch der Erschließung.
3) Das Verhalten des Bezirks im Verwaltungsprozess war im gegebenen Zusammenhang inhaltlich und prozessual verfehlt.
Statt im Klartext zu antworten, verweist der Stadtrat lieber darauf, dass sein Vorgänger es wohl versäumt habe, das Tiefbauamt mit der Verhandlungsvorbereitung für einen Erschließungsvertrag – mit der auch die Einholung einer verkehrsgutachterlichen Stellungnahme erforderlich gewesen wäre – zu beauftragen. Dabei bleibt geflissentlich unerwähnt, dass der damalige Baustadtrat nach der erwähnten Verfügung des Tiefbauamtes vom 10.10.2011 hierfür nur noch wenige Tage – nämlich genau bis zur Neubildung des Bezirksamtes am 27.10.2011 – Zeit gehabt hätte.
Führt man sich dies vor Augen, drängt sich die Frage auf, warum der jetzige Baustadtrat, der seit Ende 2011 im Amt ist, nicht selbst diesen Auftrag erteilt hat. Unverständlich bleibt dann ferner, weshalb die Fragestellung nicht anlässlich der Klageerhebung durch Lorac am 6. Juni 2012 wieder aufgegriffen worden ist. Hier ist die Chance verspielt worden, im Verwaltungsprozess – nach Einholung entsprechender Expertise – substantiiert zum Verkehrsaufkommen und zur Verkehrsableitung Stellung zu nehmen:
So wendet sich die „Haltet-den-Dieb“-Attitüde des jetzigen Baustadtrats bei näherem Hinsehen gegen ihn selbst.
Einen Aspekt hat der Baustadtrat bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage ganz weggelassen:
Dem Tiefbauamt ging es in seiner Verfügung vom 10.10. 2011 nicht darum, Privatstraßen auf dem Gelände zu präferieren. Es macht vielmehr darauf aufmerksam, dass keine Haushaltsmittel für die Folgekosten von öffentlichem Straßenland verfügbar sind (S. 1 der Verfügung):
„Die Übernahme der projektierten inneren Erschließungsstraßen in das Fachvermögen des Tiefbau- und Landschaftsplanungsamtes und eine Widmung dieser Flächen als öffentliche Straßen kann wegen der damit verbundenen erheblichen künftigen Lasten (öffentliche Beleuchtung, Straßenentwässerung, Unterhaltung usw.) in der derzeitigen Haushaltsnotlage Berlins, die sich vermutlich in naher Zukunft auch nicht ändert, nicht befürwortet werden.“
Das Tiefbauamt spricht damit ein „K.O.“-Kriterium“ an. Auch dieser Aspekt hätte dem Bezirk bei seinen schriftlichen und mündlichen Einlassungen im Verwaltungsgerichtsverfahren nicht abhandenkommen dürfen.
Der Weiße Ritter beweist Geduld und gibt dem Bezirksamt mit seiner nächsten Anfrage vom 5. Januar 2015 eine weitere Chance zu einer konstruktiven Aufarbeitung. Er fokussiert nun seine Fragen auf den vom Tiefbauamt hervorgehobenen haushalterischen Aspekt.
(neuer Aufzug:
Szenario wie zuvor.
Das Geschehen wechselt zum 12. Februar 2015)
Der Bezirksverordnete Schlosser hört nun seine Antwort (förmlich: Antwort des Bezirksamts vom 12. Februar 2015, BVV-DS 0418/4, zur „Erschließung der geplanten Bebauung Forckenbeckstraße III“):
In der Antwort auf meine Kleine Anfrage vom 19. November 2014 (DS 0400/4) führt das Bezirksamt am 22. Dezember 2014 zur straßenmäßigen Erschließung des Areals Oeynhausen Nord neben anderem Folgendes aus:
„Zum ersten Erschließungsangebot vom 1. Februar 2011, welches sich auf das gesamte Lorac-Grundstück bezieht, hat das damalige Tiefbau- und Landschaftsplanungsamt am 10. Oktober 2011 eine ausführliche Stellungnahme abgegeben. Die darin geäußerte Meinung, dass die inneren Erschließungsstraßen als Privatstraßen ausgeführt werden sollen, wurde und wird vom Stadtentwicklungsamt aufgrund der Größe des Baugebietes jedoch nicht geteilt.“
Zu Beginn der erwähnten Stellungnahme stellt das Tiefbauamt fest, dass die haushalterisch nicht gedeckten Folgekosten einer Erschließung mit öffentlichen Straßen entgegenstehen:
„Die Übernahme der projektierten inneren Erschließungsstraßen in das Fachvermögen des Tiefbau- und Landschaftsplanungsamtes und eine Widmung dieser Flächen als öffentliche Straßen kann wegen der damit verbundenen erheblichen künftigen Lasten (öffentliche Beleuchtung, Straßenentwässerung, Unterhaltung usw.) in der derzeitigen Haushaltsnotlage Berlins, die sich vermutlich in naher Zukunft auch nicht ändert, nicht befürwortet werden.“
Dies vorausgeschickt frage ich das Bezirksamt:
1. Konnten bis zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits Lorac ./. Land Berlin wegen Bauvoranfrage am 9. Mai 2014 Vorkehrungen in der Finanzplanung getroffen werden, die erhöhte Ausgaben für die Folgekosten öffentlichen Straßenlandes auf dem Areal Oeynhausen Nord zulassen?
Im Rahmen der Haushaltsplanung sind nur die Ausgaben einzustellen, für die eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit bezüglich ihrer Fälligkeit in den betroffenen Haushaltsjahren besteht. Ferner wurde in der zitierten Anfrage auch dargelegt, dass die Rechtsauffassungen zwischen dem Stadtplanungs- und Straßen- und Grünflächenamt abweichen.
2. (Bei Bejahung zu Frage 1:) Wie und wann ist dies dokumentiert worden?
Entfällt.
3. (Bei Verneinung zu Frage 1:) Ist das OVG im Rahmen des Antrags auf Berufungszulassung unterrichtet worden, dass das Bezirksamt eine Erschließung über Privatstraßen aus stadtplanerischen Erwägungen nicht verantworten kann und dass eine Erschließung mit öffentlichen Straßen mangels Deckung der Folgekosten ausscheidet?
Nein.
4. (Sollte das OVG noch nicht im Sinne der Frage zu 3 unterrichtet worden sein:) Wird das Bezirksamt dies unverzüglich nachholen?
Nein.
5. (Sollte das Bezirksamt nicht beabsichtigen, das OVG im Sinne der Frage zu 3 zu unterrichten:) Aus welchen Gründen wird diese Unterrichtung unterlassen und wie und wann ist diese Entscheidung dokumentiert worden?
Diese Sachverhalte begründen keine Berufungszulassung.
Der Stadtrat wendet die Technik der Scheinantwort an. Unser Weißer Ritter hatte nicht nach einer Einstellung von Ausgaben für zusätzliche Straßenlasten in den nächsten Landes-/Bezirks-Haushalt für 2016/2017 gefragt, sondern nach deren Berücksichtigung in der mittelfristigen – die nächsten fünf Jahre erfassenden – Finanzplanung.
Der Stadtrat versucht so, sich an der Frage nach der Dokumentation der Entscheidung über eine Nichteinstellung dieser Kosten vorbei zu mogeln.
Die Frage nach der künftigen Straßenlast für das Land muss man insbesondere dann verdrängen, wenn man Oeynhausen eigentlich bebauen möchte. Dies geht nur, wenn man eine Binnenerschließung über Privatstraßen, deren Folgekosten der Eigentümer und nicht das Land trägt, nicht zulässt: Privatstraßen würden nämlich grundlegend von den Vorgaben des förmlichen Straßenplans und damit vom Baunutzungsplan abweichen, die öffentliche Straßen für die Erschließung vorsehen. Eine derart gravierende Abkehr von der aktuell maßgeblichen Planung wäre nur zulässig, wenn zuvor ein neuer Bebauungsplan erlassen würde, der Privatstraßen ausweist. Hierauf hatte der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung beauftragte „Oeynhausen-Gutachter“ Dr. Scharmer ausdrücklich hingewiesen. Einen neuen Bebauungsplan mit Zulassung privater Straßen einzubringen, hieße aber für das Bezirksamt, sich nun öffentlich zu einer Abkehr von der für Oeynhausen verfolgten Grünflächenausweisung zu bekennen und damit BürgerInnen und Bezirksverordnetenversammlung zu düpieren.
Damit ist auch klar: Wenn das Bezirksamt die Vorbescheidsklage von Lorac im anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren verlieren will, muss es bei der Linie bleiben, nicht zu erwähnen, eine Erschließung des Areals u.U. auch mit privaten Straßen zulassen zu wollen. Sonst würde das Gericht nämlich sofort die fehlende Planmäßigkeit einer Bauabsicht erkennen und könnte Lorac keinen Anspruch auf Bauvorbescheid zusprechen.
Es war abzusehen, dass sich der Bezirksverordnete Schlosser – stellvertretend für viele seiner BVV-KollegInnen – mit diesen Antworten nicht zufrieden geben würde. Er greift die Straßenfolgekosten nun in einer weiteren Anfrage vom 24. Februar 2015 auf, und zwar unter dem allgemeinen Aspekt der Wirkung eines Erschließungsangebots des Eigentümers an die Gemeinde:
Ein Erschließungsangebot ist dem Land nur zumutbar, wenn es auch das Angebot zur Übernahme der Straßenfolgekosten enthält. Diese Frage spielt hier eine entscheidende Rolle, weil das Erschließungsanerbieten von Lorac aus dem Februar 2011 dieses Kostenübernahmeangebot nicht enthielt.
(Wieder erhebt sich der Vorhang,
das Szenario ist unverändert.
Das Geschehen wechselt zum 26. März 2015.)
Der Schwarze Ritter verkündigt dem Weißen Ritter die Antwort (förmlich: Antwort des Bezirksamts vom 26. März 2015 auf die Kleine Anfrage des Bezirksverordneten Schlosser vom 24. Februar 2015, BVV-DS 0432/4, zur „Erschließung der geplanten Bebauung Forckenbeckstraße IV“):
Den Antworten auf meine Kleinen Anfragen vom 19. November 2014 (DS 0400/4) und vom 5. Januar 2015 (DS 0418/4) entnehme ich, dass das Bezirksamt die innere Erschließung des Vorhabengebiets Oeynhausen Nord durch öffentliche Straßen bevorzugt und bezüglich der Deckung der Straßenunterhaltung keine haushalterischen Hindernisse sieht, weil es mit einen Anfall von Unterhaltskosten erst außerhalb des derzeitigen Haushaltsplanungszeitraums rechnet.
Dies vorausgeschickt frage ich das Bezirksamt:
1) Ist dem Bezirksamt bekannt, dass eine Übernahme der Unterhaltskosten für Erschließungsstraßen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Kriterium für die Beurteilung der Zumutbarkeit eines Erschließungsangebots ist?
Dem Bezirksamt ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Zumutbarkeit der Annahme eines Erschließungsangebotes bekannt.
2) Ist diese Rechtsprechung im Planverfahren zu IX-205a und bei der Behandlung des Antrags auf Bauvorbescheid durch die Eigentümerin des Areals berücksichtigt worden?
Ja.
3) Hat das Bezirksamt die fehlende Übernahme der Folgekosten der straßenmäßigen Erschließung im Verwaltungsgerichtsstreit um den Bauvorbescheidsantrag vorgebracht?
Dies war nicht relevant, da sich die Unterhaltung der Erschließungsmaßnahmen gemäß § 123 (4) BauGB nach landesrechtlichen Vorschriften richtet. Nach § 7 des Berliner Straßengesetzes liegt die Straßenbaulast beim Land Berlin, und das haushaltsunabhängig.
4) Gibt es Gründe, weshalb dieser Aspekt nicht in den Antrag auf Zulassung der Berufung an das das OVG eingeflossen ist?
Der Aspekt ist zur Begründung des Berufungszulassungsantrages untauglich.
Diese Antwort ist zunächst von fast entwaffnender Offenheit: Das Bezirksamt kannte die – höchstrichterlich bestätigte – Möglichkeit, ein Erschließungsangebot abzulehnen, wenn der bauwillige Eigentümer zwar für die Gemeinde die Erschließung übernehmen will, aber nicht gleichzeitig die Entlastung der Gemeinde von den Folgekosten anbietet.
Der Bezirk hat sich – auch dies wird klar – gegenüber Lorac jedoch hierauf nicht berufen und mit diesen Umstand auch nicht zur Abwehr der Klage von Lorac auf Erteilung eines Bauvorbescheids argumentiert.
Damit häufen sich die Indizien dafür, dass das Bezirksamt – oder hier besser: unser „Schwarzer Ritter“ Schulte – alles daran setzt, eine Bebauung des Areals zu ermöglichen.
Intellektuell gesehen ist schade, dass das Bezirksamt das bisherige Vernebelungsniveau hier nicht erreicht: Der Hinweis, dass die nach Errichtung neuer öffentlicher Straßen anfallenden Unterhaltungskosten vom Land zu tragen sind, war ja bereits Gegenstand der Frage und ist Beweggrund für das Bundesverwaltungsgericht, der Gemeinde die Ablehnung eines Erschließungsangebots zu ermöglichen. Dass das Bezirksamt hier Zuflucht zu einem Zirkelschluss sucht, dürfte auch für nicht in der Materie steckende Leser offenkundig sein.
Stoff zum Nachfassen durch den „Weißen Ritter“ ist also wieder hinreichend vorhanden. Er nutzt dies am 15. April 2015 zu der 5. „Kleinen Anfrage“ zu diesem Thema:
„Erschließung der geplanten Bebauung Forckenbeckstraße V
Im Nachgang zur Antwort auf meine Kleine Anfrage zu DS 0432/4 vom 26. März 2015 frage ich das Bezirksamt:
1. Sind in Zusammenhang mit dem Aufstellungsverfahren zu BPlan IX-205a Hinweise auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu einem Erschließungsangebot, das eine Übernahme der Folgekosten nicht einschließt, aktenkundig gemacht worden?
2. Welches Datum tragen diese Hinweise und in welchen Akten befinden sie sich?
3. Ist dokumentiert – wenn ja, unter welchem Datum und zu welchem Aktenvorgang -, weshalb das Bezirksamt diese Rechtsprechung nicht dem Vorbescheidsbegehren der Firma Lorac entgegengehalten hat?“
Sobald die Antwort vorliegt, wird hier der Vorhang zum nächsten Akt geöffnet.