Lehren aus dem Bürgerentscheid Oeynhausen?

Nicht nur auf Landesebene zum Thema Tempelhofer Feld, auch auf Bezirksebene in CharlWilm zur Kolonie Oeynhausen haben die Menschen der Politik gezeigt, dass sie sich nicht alles gefallen lassen, sondern eigene politische Vorstellungen haben. Und diese gehört wissen wollen.
Politik muss Wege finden, die Menschen in möglichst viele politische Entscheidungen einzubinden. Das ist nicht leicht umzusetzen, denn auf Bezirksebene sind die Mitbestimmungsmöglichkeiten beschränkt.
Am Einfachsten ist der Einwohnerantrag, mit dem ein Wunsch-Antragstext in die BVV eingebracht werden kann: 1000 Unterstützerunterschriften sammeln ist nicht so schwer. Für Bürgerbegehren bzw. Bürgerentscheide sind hingegen Quoren zu erfüllen, die, wenn nicht gerade wie am 25. Mai 2014 eine Wahl oder ein Volksentscheid stattfindet, nur schwer zu erreichen sind.
Selbst die Koalition im Abgeordnetenhaus muss nach dem Ergebnis des Volksentscheids reagieren und über die Erweiterung der Beteiligung der Menschen an der Politik nachdenken. Die Piraten fordern dies seit 2011.

Auf Senats- und Abgeordnetenhausebene wird nach dem Ergebnis des Volksentscheids zum Tempelhofer Feld jetzt intensiv (und öffentlich!) über Ergänzungen und Erweiterungen der Beteiligung der Bürger_innen an der Politik nachgedacht. Das ist gut so, zeigt aber auch, daß das Thema Bürgerbeteiligung bislang auf dieser Ebene nur ein Lippenbekenntnis war. Geradezu panikartig kamen jetzt von allen Seiten Ideen, wie man das besser machen könnte. Den Vogel abgeschossen hat m.M.n. dabei Rahed Saleh, Fraktionsvorsitzender der SPD im Abgeordnetenhaus, mit seiner Veranstaltung „Chancen und Herausforderungen der wachsenden Stadt – Öffentlicher Diskurs der Stadtgesellschaft und des Gesetzgebers“ am 12.06.2014, für die ich nur auf Umwegen eine Einladung erhalten habe. Offensichtlich war es mit der Öffentlichkeit nicht ganz so ernst gemeint…

Aus der Einladung:

in einer wachsenden Stadt wie Berlin stehen der Gesetzgeber und die Zivilgesellschaft vor diversen Herausforderungen. Für unsere Stadt bieten sich hierbei viele Chancen, die sich im gemeinsamen Diskurs entwickeln lassen. Ich lade Sie und Vertreterinnen und Vertreter anderer gesellschaftlicher Gruppen, alle im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Fraktionen sowie Vertreterinnen und Vertreter des Senats deshalb zu einem gemeinsamen regelmäßigen Austausch von Stadtgesellschaft und Gesetzgeber ein.

Wie entwickelt sich die Bevölkerung in Berlin? Welche Ableitungen lassen sich daraus für die öffentliche Infrastruktur, zum Beispiel für Kitas und Schulen, den öffentlichen Personennahverkehr, den Wohnungssektor und die Kulturz iehen? Wie lässt sich zivilgesellschaftliche Partizipation weiter verbessern? In einer Auftaktsitzung möchte ich mit Ihnen zusammen in die Themensammlung und weitere Ablaufplanung eintreten. Ich schlage Ihnen vor, den Diskurs anschließend in regelmäßigen Sitzungen zu verstetigen.

Das erste Treffen möchten wir am Donnerstag, dem 12. Juni 2014, ab 19.00Uhr im Raum 376 im Berliner Abgeordnetenhaus, Niederkirchnerstraße 5, 10117 Berlin abhalten. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich für Ihre Interessengruppe in den Diskurs über Chancen und Herausforderungen in unserer Stadt einbringen und gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren und dem Gesetzgeber an der Erarbeitung von Handlungsempfehlungen mitwirken würden.

 

Die – logischerweise – eingeladene Initiative „100% Tempelhofer Feld“ hat eine sehr richtige Antwort auf diese Einladung veröffentlicht. Rahed Saleh hat noch nicht begriffen, daß dieses „von-oben-herab“ nicht der richtige Weg ist…

Welche Lehren kann nun die BVV CharlWilm aus dem erfolgreichen Bürgerentscheid ziehen? Schwer zu sagen… Rechtlich sind da enge Grenzen gesetzt: es gibt nur den Einwohnerantrag, das Bürgerbegehren und den Bürgerentscheid. Man kann natürlich Einwohnerversammlungen zu bestimmten Themen veranstalten. Die, die ich bisher erlebt habe, waren immer gut besucht, und die Diskussion, so sie denn in Gang kam, war fruchtbar. Allerdings ist eine Einwohnerversammlung auch immer recht zeit- und kostenintensiv, was leider angesichts der sehr begrenzten finanziellen Mittel der BVV die Möglichkeiten einschränkt. Hier sollte in den nächsten Haushaltsberatungen ein höheres Budget für solche Zwecke eingerichtet werden. Die Bürger_innen haben das Recht, gefragt zu werden und mit zu bestimmen, wie es in ihrem Bezirk, in ihrem Kiez weitergeht. Politik, Entscheidungen „von oben herab“ – das ist Politik von gestern.

Welche Lehren können die Parteien ziehen? Die Lippenbekenntnisse der Zählgemeinschaftsparteien jedenfalls sind als solche entlarvt. Keine Partei sollte jetzt die Idee aufgreifen, eine der 3 gegebenen Möglichkeiten durch entsprechende Initiativen innerhalb ihrer eigenen Mitglieder anzustoßen. Natürlich ist es legitim, wenn eine Initiative durch Menschen ergriffen wird, die auch Mitglieder eine Partei sind. Nur sollte nicht eine Fraktion oder ein Kreisverband dieses anstoßen.

Wenig bekannt, wohl so gut wie noch gar nicht genutzt: § 46 Abs. 4 des Bezirksverwaltungsgesetzes gibt der BVV die Möglichkeit, von sich aus einen Bürgerentscheid anzustoßen. Dafür ist aber eine Zweidrittelmehrheit der Mitglieder notwendig, mithin müssen mindestens 37 Bezirksverordnete einem entsprechenden Antrag zustimmen. Die Begründung zum Änderungsgesetz sagt dazu:

Gemäß § 46 Abs.4 des Entwurfes hat die BVV auch selbst das Recht, einen Bürgerentscheid zu einer Frage zu initiieren,zu der sie nach §§ 12 und 13 BezVG Beschlüsse fassen kann. Um zu verhindern, dass die Bezirksverordneten sich  ihrer Verantwortung  als Repräsentanten entziehen, ist hier das Quorum auf zwei Drittel der verfassungsmäßigen Mitgliederzahl festgesetzt. Es muss also eine weitgehende Einigkeit in der Vertretungskörperschaft darüber bestehen, dass das fragliche Begehren  der Bürgerschaft zur Entscheidung vorgelegt wird. Dies ist gerechtfertigt: die Bürgerschaft soll die Möglichkeit erhalten, in jeder Angelegenheit anstelle der Vertreter zu entscheiden. Ausgehen soll dieses von der Bürgerschaft selbst. Der umgekehrte Weg soll stark erschwert werden, um den Parteien in der BVV die Möglichkeit zu  nehmen, das Instrument bürgerschaftlicher Mitwirkung für Parteipolitik außerhalb der BVV zu missbrauchen.

Trotz der notwendigen Mehrheit sollte man in den BVVen mal darüber nachdenken…

 


„Untersuchungsausschuß“

 

Die BVV CharlWilm hat am 22.05.2014 diesen Beschluß gefasst:

Nichtständiger Ausschuss „Kolonie Oeynhausen“

 

Die BVV möge beschließen:

 

Zur Untersuchung der von verschiedener Seite im Zusammenhang mit der Prozessführung des Bezirksamtes vor dem Verwaltungsgericht Berlin zum Bürgerentscheid und der damit verbundenen Kostenschätzung in den Raum gestellten Behauptungen wird gem. § 29 Abs. 2 S. 2 GO BVV ein nichtständiger Ausschussmit neun Mitgliedern im Verhältnis 3:3:2:1 eingerichtet.

 

Der BVV ist bis zum 30.11.2014 ein Abschlussbericht vorzulegen.

Auf Bezirksebene gibt es keine „Untersuchungs-Ausschüsse“, deshalb heißt dieser auch nicht so. Der Terminus „Nichtständiger Ausschuss“ deutet darauf hin, daß dieser Ausschuß möglicherweise nicht bis zum Ende der Wahlperiode in 2016 tagen wird, auch daß bis Ende November 2014 ein „Abschlussbericht“ vorzulegen ist, weist in diese Richtung.

Worum geht’s? Es geht um das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin zur Angabe der Höhe einer eventuellen Entschädigung im Hinweistext des Bezirksamtes zum Bürgerbegehren „Rettung der Kleingartenkolonie Oeynhausen“ (siehe Pressemitteilung des VG) aus dem August 2013.  Im Januar 2014 haben die Kleingärtner durch eine Akteneinsicht erfahren, daß dem Verwaltungsgericht im August 2013 nicht alle Unterlagen zu dem Verfahren vorlagen. Insbesondere ein Vermerk der Abteilung „Stadt III E“, die sich mit Wertermittlungen bei Grundstücken beschäftigt, datiert auf den 06.02.2012, lag dem Gericht im Verfahren über die Nennung der Höhe einer evtl. Entschädigung im Hinweistext nicht vor. In diesem Vermerk wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß frühere Einschätzungen nicht mehr gelten (also insbesondere die ominösen 25 Millionen) , ein Entschädigungsanspruch nach § 42 BauGB nicht ausgelöst wird, wenn der Bebauungsplan festgesetzt wird, und nur ein Übernahmeanspruch besteht, bei dem das Grundstück gegen Zahlung von 870.000 € in das Eigentum des Landes Berlin geht.

Baustadtrat Marc Schulte bezeichnete diesen Vermerk am 16.01.2014 in seiner Antwort auf eine Einwohnerfrage als „nicht sachverhaltsmäßig mit der weiteren Verfahrensentwicklung„. Dem kann ich mich nicht anschließen, und mit mir bezweifeln viele, daß die Entscheidung, welche Unterlagen dem Verwaltungsgericht vorzuliegen haben, in der Hand einer der verfahrensbeteiligten Parteien liegt. Das ist selbstverständlich Sache des Gerichtes, und zur Beurteilung müssen dem Gericht selbstverständlich alle Unterlagen vorliegen.

Der Baustadtrat ist übrigens der Meinung, daß sich der nichtständige Ausschuß mit dem Verhalten der Abteilung Bürgerdienste beschäftigen müsse, denn diese hat den Prozess geführt, wie er in seiner persönlichen Erklärung am 22. Mai 2014 mitteilte (Niederschrift der Sitzung, Seite 8 und 9). Das ist ganz schön dreist, denn diese Abteilung kann natürlich nur das dem Gericht vorlegen, was sie von der betroffenen Abteilung Stadtentwicklung an Unterlagen erhält. Sicherlich war die Abteilung Bürgerdienste als auch für Wahlen und Abstimmungen, mithin also auch für die Durchführung des Bürgerbegehrens zuständige Abteilung federführend in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht. Die Abteilung Stadtentwicklung als sachlich zuständige Abteilung sollte jedoch alles an Unterlagen bereitstellen und nicht vorher entscheiden dürfen, was und was nicht vorgelegt wird.

Ich höre übrigens gerüchteweise, daß SPD und Grüne den nichtständigen Ausschuß ständig nicht-öffentllich tagen lassen wollen. Auf die Begründung dazu bin ich sehr gespannt und werde dem selbstverständlich widersprechen. Daß es diesen Vermerk vom 06.02.2012 gibt, haben wir Bezirksverordnete nur erfahren, weil die interessierte Öffentlichkeit sich die Mühe gemacht hat, Akten einzusehen und zu durchforsten. Nun sollen wir sagen: „danke für die Zuarbeit, habt ihr gut gemacht, aber jetzt schließt bitte die Tür von außen“? Das kann ja nicht sein. Ich bin im Gegenteil der Meinung, daß die intensive Durchsicht der Akten durch die Kleingärtner_innen der Arbeit der Bezirksverordneten nur helfen kann und von daher die Öffentlichkeit gegeben sein muß, damit der Informationstransfer funktionieren kann. Auch kann ich nicht sehen, welche „persönlichen Angelegenheiten, Sondervergünstigungen und Unterstützungen aller im Dienste der Stadt und des Landes Berlin stehenden Personen“ ( GO BVV, Paragraph 32 Abs. 2 i.V.m. § 16) Gegenstand der Untersuchungen des Ausschusses sein sollten. Auch Vermögensverhältnisse Dritter oder Beratung über An – und Verkäufe von Grundstücken sind nicht Thema dieses Ausschusses. Insofern könnte es am Donnerstag also spannend werden.