Die BVV – Sprungbrett, Kaderschmiede oder „Schule“ der Parteien?

Den Start von Abgeordnetenwatch für die Wahlen in Berlin habe ich zum Anlaß genommen, diejenigen Kandidaten zum Abgeordnetenhaus aus CharlWilm, die jetzt in der BVV oder im Bezirksamt tätig sind, die folgende Frage zu stellen:

 

Sie treten dieses Jahr erstmals für das Abgeordnetenhaus an, nachdem Sie in den letzten Jahren in der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf – durchaus erfolgreich, wie ich sagen darf – tätig. waren.

Sehen Sie die BVV als Sprungbrett in die „große Politik“, als „Kaderschmiede“ oder „Schule“ der Parteien für zukünftige Landes, oder gar Bundespolitiker?

Die bisherigen Antworten sind interessant:

 

Stefan Ewers, CDU, schreibt:

Möglicherweise fehlt es Berlin tatsächlich an Landespolitikern, die Erfahrungen mit der sogenannten „zweistufigen“ Verwaltung Berlins auf der bezirklichen Ebene gesammelt haben. Mindestens unserem Finanzsenator wäre es zu wünschen.

Dann nämlich hätten wir vielleicht nicht in dieser Weise mit der Vernachlässigung und Gängelung der Bezirke durch den Senat und die rot-rote Koalition zu kämpfen. Von der Jugend- und Sozialarbeit bis hin zur Grünpflege haben wir im Bezirk täglich mit willkürlichen und für den gesunden Menschenverstand nicht nachvollziehbaren Entscheidungen und Vorgaben des Senats zu kämpfen. Die schwierige Situation vor Ort zu kennen ist sicher keine schlechte Voraussetzung für einen Abgeordneten, gemeinsam mit den Bezirksverordneten seiner Partei eine gute und erfolgreiche Politik für die Berlinerinnen und Berliner zu machen.

Insofern war die BVV in der Tat eine gute Schule für mich, völlig unabhängig vom Ausgang der anstehenden Wahlen. Es würde der Sache aber nicht gerecht, sie als Sprungbrett oder ´Kaderschmiede´ der Parteien zu bezeichnen. Unsere Bezirksverordneten sind engagierte Menschen unterschiedlichen Alters, mit einer großen Bandbreite an beruflichen und politischen Erfahrungen. Ihnen allen ist zwar die Parteizugehörigkeit gemeinsam. Entscheidend ist aber für jeden von uns die Motivation, Missstände in der Stadt nicht hinzunehmen, sondern Berlin und unseren Bezirk auch unter schweren Rahmenbedingungen so lebens- und liebenswert zu gestalten, wie es uns allen am Herzen liegt.

Also grundsätzlich: ja, die BVV ist eine Schule, und ja, er findet es wichtig und richtig, daß man nach einiger Zeit in der BVV nach „höherem“ strebt.

 

Joachim Krüger, CDU, zur Zeit Bezirksstadtrat für Bürgerdienste und Personal, sieht das etwas anders:

Nein, für mich sind BVV-Mandat und Stadtratsamt in Charlottenburg-Wilmersdorf nicht das Sprungbrett in die „große Politik“.

(nebenbei gesagt: Aus meiner Erfahrung mit Parteiarbeit (Mitglied der CDU seit 1967)habe ich gelernt, daß Politiker „an höchster Stelle“ nicht die schlechtesten sind, wenn sie vorher „an der politischen Basis“ die Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger umfassend kennengelernt haben)

Ich möchte meinerseits gern versuchen, all´ die Erfahrungen, die ich gerade in den letzten zehn Jahren mit Senat und Abgeordnetenhaus gemacht habe,ins Landesparlament einzubringen. Dazu gehört z.B. eine auskömmliche Finanzierung mit Personal- und Sachmitteln z.B. für die Bürger- und Ordnungsämter in den Bezirken, weil hier die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar auf die städtische Verwaltung treffen und Anspruch auf eine zügige, fachkompetente und freundliche Bearbeitung ihrer Anliegen haben. Hier die nötigen Mittel zu aktivieren, erscheint mir wichtiger als z.B. eine weitere neue Kunsthalle für die Stadt zu finanzieren.
Seit Jahren habe ich im Bezirk dafür gesorgt, dass im öffentlichen Dienst in Charlottenburg-Wilmersdorf qualitativ und umfassend ausgebildet wurde, jährlich 24 Azubis allein in den Büroberufen. Der Bezirk braucht diese jungen Menschen auf Dauer: Derzeit ist unser Altersdurchschnitt beim Personal bei deutlich über 50 Jahren angekommen. Eine zukunftsfähige Verwaltung braucht aber eine altersmäßig gut durchmischte Mitarbeiterstruktur. Der Tatbestand, daß ich jahrelang keinen einzigen und derzeit ganze zwei Absolventen pro Jahrgang in die Bezirksverwaltung übernehmen darf, halte ich für skandalös. Der Finanzsenator und der gesamte Senat gibt mir diese Regelung vor. Selbst wenn der Rat der (Bezirks)Bürgermeister geschlossen dagegen protestiert, hat das bisher keine Folgen gehabt.
Bilanz für mich: Es wird sich lohnen, diese und viele andere Fehlentwicklungen in der Berliner Politik im Parlament korrigieren zu helfen. Dafür bitte ich gemeinsam mit meinen Mitkandidaten der CDU Charlottenburg-Wilmersdorf um Ihre Unterstützung.

Na, über den letzten Satz muß ich nochmal nachdenken. Oder nein, eher nicht 🙂

Aus der Antwort von Herrn Krüger spricht die (leidvolle) Erfahrung aus 10 Jahren Arbeit als Stadtrat, der Frust über die ungenügende Ausstattung der Bezirke durch den Senat bei gleichzeitig immer größerer Aufgabenabwälzung an die Bezirke. Angesichts der finanziellen Situation des Landes Berlin wird es ihm aber schwer fallen, daran kurz- oder mittelfristig etwas zu ändern.

 

Sibylle Centgraf, Bündnis 90/Die Grünen, schreibt:

Ich halte die Bezirksverordnetenversammlung tatsächlich für eine hervorragende Schule, um in die Vollzeit-Politik einzusteigen. Ich bin auch persönlich der Meinung, dass es dem Abgeordnetenhaus von Berlin sehr gut tut, wenn viele in den Bezirken verwurzelte Abgeordnete gewählt werden.
Die BezirkspolitikerInnen haben eine größere Nähe zur Bevölkerung und dies sollte möglichst auch für die Entscheidungen auf Landesebene eine wichtige Rolle spielen. Eine dezentral organisierte Kommune mit Entscheidungskompetenz ist schließlich die Voraussetzung für eine gute, bürgernahe Verwaltung.
Allerdings ist die Entscheidungskompetenz in den Bezirken eben auch erheblich begrenzt und ich wünsche mir im Abgeordnetenhaus selbst deutlich mehr Einfluss auf städtebauliche Entscheidungen, die in Berlin anstehen, zu erlangen. Sei es nun das Sportstätten-Sanierungs- oder das Stadtplätze-Programm, der Kleingartenentwicklungsplan oder die die Berliner Ausgleichskonzeption – vieles wird auf Landesebene bestimmt und gesteuert.

Ehrlicher Weise ist das BVV-Mandat doch recht undankbar, sieht man einmal von der persönlich wertvollen Anerkennung einiger engagierter BürgerInnen ab. Das „gut gekannt sein“ ist schließlich der beste Lohn für ein BVV-Mandat. Wegen der recht familienunfreundlichen Sitzungszeiten ist ein BVV-Mandat mit einem Fulltime-Job und Kindern nur schwer vereinbar. Ich werde zukünftig weniger Nacharbeitsabende im Büro verbringen. Über unsere grünen Facharbeitsgruppen bleibe ich der Bezirkspolitik so oder so erhalten.
Gerade Bündnis 90/Die Grünen brauchen geballten Umweltsachverstand im Abgeordnetenhaus. Dazu möchte ich mit meinen Schwerpunkten Stadtentwicklung, Freiflächengestaltung und Naturschutz beitragen. Schon seit Kindertagen ist es mein Wunsch Berufspolitikerin zu werden. Dazu muss ich unser letztes Landeswahlergebnis allerdings verdoppeln. Ihre Stimmen können mir dabei helfen.

Auch hier sag ich zum letzten Satz: Nöö 🙂

Wie Stefan Ewers ist sie der Meinung, daß das Abgeordnetenhaus „frisches Blut“ durch ehemalige Bezirksverordnete gt gebrauchen kann, und sieht dementsprechend die BVV als Schule an.

 

Alexander Kaas Elias, Bündis 90/Die Grünen, sieht das ähnlich:

Der Begriff „Kaderschmiede“ liegt mir persönlich nicht. Jedoch denke ich, dass es nicht schaden kann, wenn Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus auch Kenntnis über die Arbeit im Bezirk haben – im Gegenteil. Insofern konnte ich in der BVV wertvolle Erfahrungen sammeln, welche ich nicht missen möchte. Dieses Wissen werde ich auch gern im Abgeordnetenhaus von Berlin einbringen – sollten die Wählerinnen und Wähler im Wahlkreis 6 (Wilmersdorf) mir das Vertrauen aussprechen.

ebenso Carsten Engelmann, CDU:

vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich sehe die BVV tatsächlich, auch im Fokus meiner persönlichen Erfahrungen in den letzten 15 Jahren, als eine gute Schule für eine politische Betätigung. Ob als Bürgerdeputierter „sachkundiger Bürger“ oder als Bezirksverordneter ist man sehr nah an den Menschen und ihren alltäglichen Problemen. Man bekommt sozusagen das Rüstzeug für den Umgang mit den verschiedenen politischen Instrumentarien. Ich persönlich freue mich auf eine Aufgabe im Abgeordnetenhaus und werde, wenn es der Wähler will, auf den guten Erfahrungen aus der BVV aufbauen.

Anders Fréderic Verrycken, SPD:

Zu Deiner Frage: Nein, ich sehe das Abgeordnetenhaus nicht als Sprungbrett für die „große Politik“ an. Da Berlin sowohl ein Bundesland als auch eine Kommune ist, begreife ich mich auch weiterhin als Kommunalpolitiker, der den Draht zum Bezirk und im speziellen zu den Menschen im Charlottenburger Norden nicht verlieren möchte.

Ich glaube aber, dass ich im Abgeordnetenhaus auch das eine oder andere mit anpacken kann, was in der Bezirksverordnetenversammlung nicht alleine entschieden wird. Dazu gehört vor allem zu schauen, dass auch ärmere Kieze in einem im Berliner Durchschnitt eher reicheren Bezirk wie Charlottenburg-Wilmersdorf zusätzliche Unterstützung für Kiezprojekte bekommen. Zudem möchte ich, dass wir generell Kieze stabilisieren, bevor ihre soziale Mischung ins Trudeln kommt. Und dafür bedarf es vor allem auch neuer Jobs. Die Ansiedlung von Unternehmen im Bereich neuer Antriebstechniken und erneuerbarer Energien auf dem Gelände des heutigen Flughafen Tegels etwa bietet eine solche Gelegenheit, mit Ausstrahlungseffekten auch auf den Chartlottenburger Norden!

Naja – der Typo „Abgeordnetenhaus“ statt „BVV“ sei ihm verziehen 🙂

 

Wolfgang Tillinger, Die Linke, macht sich keine Illusionen, ins Abgeordnetenhaus einzuziehen 🙂

ich wurde von meiner Partei als Direktkandidat im Wahlkreis 5 hier in Charlottenburg-Wilmersdorf nominiert. Um einen Platz auf der Landesliste habe ich mich nicht beworben. Dies bedeutet, dass ich diesen Wahlkreis gewinnen muss um als Abgeordneter tätig werden zu können. Sehen sich meinen Gegenkandidaten(SPD) an und bewerten sie selbst ob ich nun Mut habe, eine Kämpfernatur bin oder vielleicht ein Phantast bin. Hier wird mich nur ein Wunder (Sieg) in das Abgeordnetenhaus bringen und wohl über die Grenzen Deutschland bekannt machen. Aber man soll ja nie nie sagen!

Gleichzeitig bin ich auch auf Platz 1 der Liste zu BVV-Wahl hier im Bezirk gewählt worden. Vielleicht aus dem gleichen Grund wie sie meine Arbeit bewerten. Damit ist klar, dass ich – abgesehen vom eingangs erwähnten Wunder – meine realistischen Ziele und auch meine tatsächlichen politischen Ziele auf eine weitere Legislaturperiode in unserer Bezirksverordnetenversammlung konzentriere. Die ich nicht als „Sprungbrett“ für höhere Aufgaben sehe. Ganz im Gegenteil. Nimmt eine Bezirksverordnetenversammlung ihre Aufgabe ernst, müssen ihre Mitglieder bereit sein über mehrere Legislaturperioden (wenn es der Wähler so will) ihre Arbeitskraft mit den angesammelten Erfahrungswerten einzubringen. Damit vorteilhaft verbunden ist auch eine über die Jahre enger werdende Vernetzung eines Bezirksverordneten mit den jeweiligen Akteuren und interessierten Bürgern in seinem Fachgebiet. Grundlage auf einem Weg zu mehr direkter Demokratie und damit bürgernaher Politik. Darum ist es für mich ein ganz fataler Gedanke die Bezirksverordnetenversammlung als ein Sprungbrett zu „höheren Weihen“ zu sehen. Dies würde ja auch bedeuten, dass die Bezirksverordnetenversammlung zur Ausbildungsstätte der Parteien für ihren politischen Nachwuchs verkommt und das auf Kosten der Steuerzahler. Ich kann mir nicht vorstellen, dass demokratisch orientierte Parteien so ihre Nachwuchsarbeit planen.

Interessant sind die letzten drei Sätze. Das entspricht ganz dem, was ich zu dem Thema denke…

 

4 von 7 befragten Kandidaten sehen also die BVV mehr oder weniger als Schule an, um Erfahrungen zu sammeln, die man im Abgeordnetenhaus nutzen kann.  Der Frust über die ungenügende finanzielle Ausstattung der Bezirke ist deutlich zu spüren, wie der Wunsch, als Abgeordneter daran etwas zu ändern.

Und wie siehts mit mir aus, sollte ich in die BVV gewählt werden?

Also ich habe nicht vor, die BVV als Sprungbrett zu nutzen – dafür bin ich einfach schon zu alt 🙂 Für jüngere Kandidaten der Piratenpartei ist das aber ein interessanter Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist. Wir Piraten sind ja alles andere als Polit-Profis, eine solche „Schule“ kann nicht schaden. Und wenn dann in 10 Jahren der erste Pirat als Regierender Bürgermeister antritt….

 

 

 


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